A.R. Orage -Aus „Teachings of Gurdjieff“ by C.S. Nott

Aus „Teachings of Gurdjieff“ by C.S. Nott, Seite 2-6

Vortrag New York, 1923, gehalten von

A.R. Orage

Das System Gurdjieff’s basiert auf folgender Schlussfolgerung:

Das Leben in der heutigen Zeit ist so komplex geworden, dass der Mensch von seinem natürlichen, ursprünglichen Typus abgewichen ist, einen Typus, der abhängig von seiner Umgebung ist, d.h. dem Land in dem er geboren wurde, der Umgebung in der er aufgewachsen ist und die Kultur von der er erzogen wurde. Diese Umstände sollten den Weg der Entwicklung für den Menschen abstecken und ihm ermöglichen, den für Menschen normalen Typus zu erreichen.

Aber unsere Zivilisation, mit ihren beinahe unbegrenzten Mitteln zur Beeinflussung des Menschen, hat es ihm unmöglich gemacht in Verhältnissen zu leben, die normal für ein menschliches Wesen sind. Obwohl unsere Zivilisation neue Horizonte des Wissens und der Wissenschaft für die Menschheit eröffnet hat, den materiellen Wohlstand erhöhte und dadurch auch die Wahrnehmung der Welt erweiterte, hat sie, anstatt den Menschen auf eine umfassender, höhere Stufe des Lebens zu führen, im Menschen nur bestimmte Fähigkeiten auf Kosten anderer entwickelt und manche Fähigkeiten sogar zerstört. Unsere Zivilisation hat dem Menschen die natürlichen und essentiellen Qualitäten seiner ihm angeborenen Wesensart genommen, ihm aber gleichzeitig nichts geben können, was für eine harmonische Entwicklung eines neuen Typus nötig gewesen wäre, so dass unsere Zivilisation, anstatt Individuen zu schaffen, die sich in der Natur und der Umgebung in der sie leben zurechtfinden, Wesen produziert hat, die sich nicht mehr innerhalb ihres Elementes befinden, unfähig ein ausgefülltes Leben zu führen und gleichzeitig fremd gegenüber ihrem eigenem, inneren Leben, das normalerweise ihr Eigen sein sollte.

Hier setzt das psychologische System Gurdjieff’s an.

Das System bewies durch Experimente, dass die Wahrnehmung der Welt des heutigen Menschen und seine Art zu leben, nicht der Ausdruck seines bewussten Selbst ist, sondern im Gegenteil, die unbewusste Manifestation nur eines Teiles von ihm. Von diesem Aspekt ausgehend ist unser psychisches Leben (so wie wir die Welt wahrnehmen und diese Wahrnehmung ausdrücken) nicht ein Ganzes, ein Ganzes, das als ein Verwahrungsort für unsere Wahrnehmungen fungiert und die Quelle unseres Ausdrucks ist, sondern ist im Gegenteil in drei voneinander getrennten Wesen unterteilt, die beinahe nichts miteinander gemein haben und sich in Funktion und Substanz unterscheiden.

Diese drei getrennten und ganz verschiedenen Teile, Quellen des intellektuellen, emotionalen und instinktiv-motorischen Lebens des Menschen, werden im Gurdjieff System das Denkzentrum, das instinktiv-motorische Zentrum und das Gefühlszentrum genannt. Jede echte, bewusste Wahrnehmung und jeder bewusste Ausdruck eines Menschen muss das Resultat einer simultanen und koordinierten Arbeit aller drei Zentren sein, jedes muss seinen eigenen Teil zum Ganzen beitragen, das heißt, jedes Teil muss seinen Anteil an Assoziationen liefern. Eine vollständige Wahrnehmung ist in jedem Fall nur möglich, wenn alle drei Zentren zusammenarbeiten. Aber durch die vielen verschiedenen Einflüsse, die auf den Menschen der heutigen Zeit einwirken und ihn verwirren, ist die Arbeit der drei Zentren nahezu immer ohne Zusammenhalt, mit dem Resultat, dass die intellektuellen, emotionalen und instinktiv-motorischen Funktionen weder einander korrigieren noch ergänzen. Jedes Zentrum geht dann seiner eigenen Wege und arbeitet selten mit den anderen zusammen, somit sind Momente des Bewusstseins, das heißt eine umfassende und vollständige Wahrnehmung der Welt und des eigenen Selbst, sehr rar.

Aus diesem Grund kann man davon sprechen, dass sozusagen drei verschiedene Menschen in einem Individuum existieren, der Erste denkt nur, der Zweite fühlt nur und der Dritte lebt nur durch seine Instinkte und motorischen Funktionen, so haben wir, kann man sagen, einen intellektuellen Menschen, einen Gefühlsmenschen und einen Körpermenschen. Diese Drei in Einem haben keine gemeinsame Sprache und kommen sich deshalb oft in die Quere, außerdem hat jeder seine eigenen Bedürfnisse und versucht sich durchzusetzen und jeder, wenn er die Oberhand gewinnt, spricht mit Autorität und sagt „Ich“.

Wenn wir die Arbeit der Zentren beobachten, können wir sehen wie gegensätzlich sie sind, wie verschieden und es wird klar, dass der Mensch nicht Herr seiner selbst ist, weil er die Arbeit der Zentren nicht kontrollieren kann. Er weiß nicht einmal welches Zentrum als nächstes zu funktionieren beginnt. Doch wir bemerken dies meist nicht, denn wir haben die Illusion, dass es eine Art von Einheit unserer Ichs gibt.

Wenn wir die Manifestierungen der Psyche eines modernen Menschen korrekt beobachten, kann man klar sehen, dass er niemals aus eigener Initiative handelt, aus Gründen, die aus ihm selbst kommen, sondern nur die Veränderungen ausdrückt, die in seinem Mechanismus durch äußere Einflüsse verursacht werden. Er selbst denkt nicht, etwas denkt in ihm, er handelt nicht, etwas handelt durch ihn, er erschafft nicht, etwas erschafft durch ihn, er führt die Dinge nicht aus, etwas führt sie durch ihn aus. Dies wird klar, wenn wir fähig sind den Prozess der Wahrnehmung von äußeren und inneren Einflüssen in jedem Zentrum verstehen, durch die die entsprechenden Handlungen zustande kommen.

Die Zentren eines neugeborenen Kindes könnte man mit einer blanken, unbenutzten Schallplatte vergleichen, auf die vom ersten Tage, der ersten Minute an, Eindrücke der äußeren und inneren Welt eingeprägt werden. Die aufgenommenen Eindrücke werden in jedem Zentrum aufbewahrt, in derselben Folge (oft absurd) und in denselben Beziehungen in der sie zuerst empfangen wurden. Der Prozess des Denkens, des logischen Schließens, des Urteilens, des Erinnerns und der Vorstellung, sind ausschließlich Resultate der empfangenen Eindrücke, die sich unter dem Einfluss von zufälligen Schocks auf verschiedenen Wegen kombinieren und assoziieren. Die aufgezeichneten Eindrücke, deren Inhalt somit zum Schwerpunkt der Assoziationen wird, werden immer durch Schocks der gleichen Art mit unterschiedlicher Intensität in Bewegung versetzt. Ein anderer Schock oder einer von anderer Intensität bringt andere Aufzeichnungen ins Rollen und ruft noch andere Assoziationen hervor und dadurch andere Gedanken, andere Gefühle und Handlungen. Kein Zentrum kann von selbst etwas zu den Assoziationskombinationen hinzufügen, um die anderen Zentren zu unterstützen. Die Folge davon ist, dass die Wahrnehmung des Menschen nur ein Resultat eines Teiles seines Wesens ist oder um es anders auszudrücken, der Mensch hat drei verschiedene Apparate der Wahrnehmung in sich, die nur wenig Kontakt miteinander haben oder ihn nur zufällig und teilweise haben. Darum ist jede Schlussfolgerung, jedes Urteil zu dem ein Mensch kommt, dass Ergebnis nur eines Teils von ihm, der Ausdruck einer kleinen Menge des Materials, das in ihm steckt, dadurch sind seine Urteile und Schlüsse immer nur bruchstückhaft und deshalb unrichtig.

Der erste Schritt zu einer ausgewogenen Entwicklung des Menschen ist es ihm zu zeigen, wie man fähig werden kann mit der Arbeit der drei Zentren innerhalb seiner psychischen Funktionen bekannt zu werden. Wenn die drei Zentren dazu fähig sind mit der gleichen Intensität simultan zu arbeiten, werden die Hauptantriebsräder der menschlichen Maschine glatt laufen und werden sich nicht länger gegenseitig behindern und nur zufällig richtig arbeiten, sondern innerhalb ihres Aufgabenbereiches bestmöglich funktionieren, ebenso wird das Bewusstsein auf eine Stufe gehoben, die zwar für den Menschen möglich ist, aber die er im Leben gewöhnlich nie erreicht und ihm auch unbekannt ist.

Es darf nicht vergessen werden, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für jedes Zentrum von Mensch zu Mensch verschieden sind, ebenso werden die Eindrücke unterschiedlich aufgenommen. Darum muss das Lernen und Training für jede Person strikt individuell sein.

Infolge fortwährender funktioneller Unordnung, der die menschliche Maschine ausgesetzt ist und die unter gewöhnlichen Umständen ständig zunimmt, kann die Maschine nur nach einem langen und entschlossenem Kampf mit den Defekten, die in ihr entstanden sind, wieder in Ordnung gebracht werden. Dieses System, die Arbeit an sich selbst, hat die Absicht neue Prozesse in uns zu entwickeln, die die Alten verändern und regulieren sollen. Mit anderen Worten, mit dieser Arbeit müssen wir neue Fähigkeiten entwickeln, die unter den Bedingungen des normalen Lebens nicht erworben werden können und ein Mensch kann diese weder ohne Hilfe, noch durch das Praktizieren von irgendwelchen allgemeinen Methoden erwerben. Nur wenn man jede Besonderheit eines Menschen, seine ihm eigenen organischen und psychischen Eigenarten, ebenso wie seine Erziehung und die Umstände seines Lebens in Betracht zieht, ist diese strikt auf das einzelne Individuum angepasste Methode von Nutzen.

Um dies Besonderheiten eines Menschen herauszufinden ist eine lange Zeit erforderlich. Der Hauptgrund dafür ist, dass der Mensch von seinen ersten Tagen an, infolge seiner sogenannten Erziehung, eine äußerliche Maske erwirbt, die mit seinem wirklichen Wesen nichts gemein hat. Wenn die Menschen älter werden, werden die Masken dicker und bald können sie ihr eigentliches Wesen nicht mehr erkennen. Um die Besonderheiten eines Individuums zu entdecken, was wirklich hinter der Maske existiert, ist es notwendig die Züge und Fähigkeiten des Wesenskern bloßzulegen. Darum muss die Maske zerstört werden und das ist eine Frage der Zeit. Nur wenn die Maske zerstört ist, können wir den Menschen selbst studieren und beobachten, das heißt seinen Typ.

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